1. Unter Neurosen (Nervenkrankheit, aus dem griechisch νεῦρον Nerv) wurden seit William Cullen (1776) rein funktionelle Störungen verstanden, für die als solche sich kein Nachweis einer organisch bedingten Erkrankung erbringen ließ .[1] Seit Sigmund Freud wird unter der Neurose (etwa einer von Liebeskummer initiierten Herzneurose) im Allgemeinen eine relativ leichtgradige Störung u.a. des Verhaltens verstanden, die in der Regel während der Kindheit und durch eine von Seiten der sozialen Umgebung auferlegte, seit dem unverarbeitet gebliebene Traumatisierung insbesondere der Triebwünsche verursacht wird. "Relativ leichtgradige" Störung bezeichnet hier die Abgrenzung von der Psychose, den Störungen schweren und schwersten Grades, denen also wesentlich massiverere psychische Verletzungen zugrunde liegen.
    Außerhalb der verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen kommt anstelle des Substantives Neurose vielfach nur das Adjektiv „neurotisch“ zum Einsatz,[2] oder wird die Verwendung des stark von Freud geprägten Begriffs ganz vermieden. Das wichtigste unter den diese Maßnahme begründenden, von einer Kommission der WHO vorgetragenen Argumenten scheint zu sein, dass von Seiten der Wissenschaftler keine Einigkeit über die bedeutsame Frage erzielt werden konnte, wie sich das Phänomen der „seelischen Gesundheit“ fundiert begründen und in einem Modell schlüssig zusammenfassen lasse. Aufgrund desselben Mangels (der also offen lässt, wie „physischer Körper“ und „psychischer Geist“ sich harmonisch-konfliktfrei zu einem gesunden Gesamtorganismus ergänzen) existieren bislang keine allgemein verbindlichen Aussagen in Hinblick auf die respektive Frage, ab wo genau von einer seelischen Erkrankung die Rede sein könne.

     

    Inhaltsverzeichnis

    • 1 Traditionelle Theorien und Systeme
      • 1.1 Psychoanalytische Beschreibung der Neurosen
        • 1.1.1 Das 3-Instanzen-Modell der gesunden Seele
        • 1.1.2 Die Ursache der Neurose beim Individuum
        • 1.1.3 Menschheitsgeschichliche Ursache der Neurose
      • 1.2 Die Primärtherapie
      • 1.3 Carl Gustav Jungs Tiefenpsychologie
    • 2 Aktuelle Klassifikation in WHO und USA
    • 3 Neurose in der Verhaltenstherapie
    • 4 Theoriegeschichte
    • 5 Literatur
    • 6 Einzelnachweise

     

     

    Traditionelle Theorien und Systeme

    In der allgemeinen Deutung eines Definitionsversuchs bezeichnet die Neurose eine psychische (geistige) Störung von länger anhaltender Dauer. Sie gilt als davon charakterisiert, dass körperlich bedingte Faktoren als Ursache der sich u.a. im Bereich des Verhaltens bemerkbar machenden Störung ausgeschlossen werden können. Solche Störungen vermag der Neurotiker nicht zu kontrollieren, er ist sich seines Leidens jedoch bewusst und an sich fähig, dessen Ursachen zu ergründen, obzwar diese bis dato im unbewussten Bereich der Psyche verborgen seien. Gemäß Freuds Theorie ist solch geistiges Streben, sich die Inhalte des Unbewussten zugänglich zu machen, von einem angeborenen Bedürfnis nach „Selbsterkenntnis“ der eigenen inneren Situation motiviert und führe im Fall des Erfolges zu Erkenntnissen, die es ihrerseits ermöglichen, therapeutisch wirksame Änderungen des Verhaltens vorzunehmen. Dies Ergebnis sei insbesondere auf dem Wege der psychoanalytischen Traumdeutung zu erzielen, nach Freud der Königsweg zur Ergründung der Vorgänge im Unbewussten.
    Zwangsstörungen (z. B. Waschzwang), Hysterien, Hypochondrien, Phobien (z. B. Soziophobie), Angststörungen, schizoide und paranoide Störungen werden zu den Neurosen gerechnet. Als differentialdiagnostisches Kriterium für die Abgrenzung von der Psychose gilt unter anderem, dass Neurotiker ihre Probleme als in ihnen selbst liegend zu erkennen vermögen, während die von einer akuten Psychose Betroffenen im Unterschied dazu an dem Unvermögen leiden, ihre innere Situation (Stimmen hören u. Ä.) von der umgebenden Realität zu differenzieren. Die Übergänge zur Neurose gelten jedoch als fließend.
    Es gibt verschiedene Grade dieser Zwänge, sodass nicht alle Betroffenen einer Behandlung bedürfen, um weiterhin arbeiten gehen, Kinder zeugen und erziehen zu können. Als subjektiv erleichternd wirkt sich hierbei die weite Verbreitung eines bestimmten Typs von Neurose in der jeweils betroffenen Kultur aus, d.h. der Umstand, dass der nämliche Neurosentyp der betroffenen Gemeinschaft als eine wertgeschätze soziale Norm gilt. Dadurch wird das Gefühl sozialer Ausgrenzung oder Minderwertigkeit abgeschwächt, bzw. bleibt es vorbewusst. Pogrome und die derlei ideologisch vorbereitende Entmenschlichung „Andersdenkender“ Individuen, Gruppen oder Nationen wirken daher auf ihre spezielle Weise einem bewusst zu werden drohendem Minderwertigkeitsgefühl entgegen. Die Gleichsetzung solcher statistischen „Normalität“ mit der Bedeutung des Begriffes „Gesundheit“ wurde von Freud jedoch entschieden abgelehnt, und zwar nicht lediglich aufgrund der Exzesse aus dem Umfeld der Inquisition und den sich abzeichnenden des Nationalsozialismus.[3] Wesentlich wichtiger, weil es ihm das Kriterium zur Beurteilung der Herkunft und zwangsneurotischen Beschaffenheit solcher Normalitäten bot, war "Selbsterkenntnis" - die Tatsache, dass er bei sich selbst, als sein eigener mittels Traumdeutung durchleuchteter „Fall“, etliche ihm bis dato unbewusste Konflikte seiner Kindheit wieder freizulegen vermochte, die zwar seine sittlich konformen Funktionen als Familienvater keineswegs behinderten, die aber auch nicht zu vereinbaren sind mit seinem Geist und Körper gleichermaßen zu integrieren versuchenden Modell der gesunden menschlichen Seele. Das gleiche gilt - vom Anspruch her - für seine ebenfalls von Darwins Evolutionstheorie inspirierten Ansichten über das instinktbedingte Grundverhalten des gesunden Menschen in seinen ihrerseits triebhaft sozial motivierten Gruppenverbänden. [4] Diese Ansichten finden sich zusammengefasst unter dem Begriff „Ur-Horde“, eine Hypothese, die Freud in seinem Werk Totem und Tabu erörtert und das den Untertitel: Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker - trägt. Im Kern geht es darin des Weiteren um die Annahme, dass das naturgemäß arteigene Zusammenleben in der Urhorde durch die Einführung der Monogamie gewaltsam abgeschafft worden sei - ein Eingriff, der zum Ausbruch des Totemismus und somit zu dem des neurotischen Leidens auf Erden geführt habe.

     

    Psychoanalytische Beschreibung der Neurosen

    Die neurotische Symptombildung gilt in der Psychoanalyse als Ausdruck eines Konflikts, der zwei Dimensionen annimmt: eine menschheitsgeschichtliche (wie in Totem und Tabu postuliert) und eine individual-historische. In der frühen Kindheit jedes Familienmenschen besteht der Konflikt zwischen den Forderungen der Triebe (dem Es) und den Ansprüchen der Moral- und Sauberkeitserziehung im elterlichen Haushalt; er kann dort jedoch nicht bewältigt werden, so dass er sich ins Unbewusste verlagert. In den sogenannten Aktualneurosen wird solch ein infolge der „infantilen Amnesie“ 'vergessener' Konflikt von gegenwärtigen Ereignissen wieder aktualisiert.[5] Auf dem Wege der „Traumdeutung“ kann sich das Ich-Bewusstsein diese Konflikte mitsamt ihrer ursächlichen Zusammenhänge wieder zugänglich machen, sie nachträglich verarbeitend und dadurch etwas erstes zur Heilung beitragend.
    Das 3-Instanzen-Modell mit den 6 Bedürfnissen des Es. Siehe Freud-Einstieg
    Freud entwickelte zur Erklärung dieser Krankheits- und Genesungsdynamik ein Strukturmodell der Seele, dessen im Genom verankerte Triebstruktur in jüngerer Gegenwart – angeregt durch den von ihm u. a. in Die Zukunft einer Illusion formulierten Forschungsauftrag – von Carlos Gutiérrez Sáenz weiter verdeutlicht wurde, indem er das „Es“ innerlich nach 6 angeborenen Bedürfnissen differenziert[6] und für die modellhafte Vorstellung des sozialen Miteinanders in der Urhorde eine Änderung vorschlägt. Beide Operationen an den evolutionstheoretischen Grundlagen der Psychoanalyse stützen sich auf Entdeckungen, die Freud selbst nicht zu berücksichtigen vermochte: die Ergebnisse der modernen Primaten- und megalitharchäologischen Forschung. [7]

     

    Das 3-Instanzen-Modell der gesunden Seele

    Beschrieben wird von Freud vorerst grundlegend ein Aufbau des Gesamtorganismus, der sich aus einer universalen Energie speisst (die "Libdio") und in dem sich - solange er gesund bleibt - drei Instanzen funktional konfliktfrei ergänzen: das Es als Sitz der Triebe; das Ich-Bewusstsein mit seiner Befähigung, in der umgebenden Realität die Quellen zu ihrer Befriedigung zu erreichen; und das Über-Ich, in das die diesbezüglichen Erfahrungen gesammelt werden. Zu ihnen zählen von Grund auf die der Sozialisation (Entwicklung der Psyche im Umfeld der zwischenmenschlichen Beziehungen) und die später hinzukommende kritische Übernahme der kulturellen Errungenschaften aus den Gebieten der Künste, Technologien, Philosophie und wissenschaftlichen Forschung. Als Neurologe unternahm Freud den für ihn selbstverständlichen Versuch, die Instanzen und Eigenschaften seines Seelenmmodells mit ihnen funktional entsprechenden Gehirnzentren zu assoziieren,[8] [9] - ein topologisches Vorhaben, für dessen Fortsetzung sich seit nuerem Befunde der neurologischen Forschung anbieten, die Freud aus leicht einsehbaren Ursachen nicht kannte. Anhand ihrer schlägt C.G. Sáenz vor:
    • das ES - der Theorie Freuds zufolge annähernd identisch mit dem Tiefen Unbewussten - 'unten' im Hirnstamm unterzubringen (dort laufen alle Triebbedürfnisse des Gesamtorganismus gebündelt zusammen, z. B. die Information hinsichtlich seiner energetischen Situation, aus der sich ggf. das Verlangen nach Nahrung meldet ),
    • das ICH-Bewusstsein 'oben' im Neocortex (der Aufgabe dieser 'Grauen Rinde' wegen, die 'vom Hirnstamm' herauf drängenden Bedürfnisse mit der umgebenden Realität abzustimmen, wofür die dortigen Faktoren nach taug- und untauglich differenziert sowie entsprechend motorisch behandelt werden )[10]
    • und das ÜBER-ICH - in elastischen Grenzen deckungsgleich mit dem Vorbewussten - im Limbischen System.
    In diesem ca. die Gehirnmitte ausfüllenden Organ werden die "Erfahrungen", die das neocortikale Ich-Bewusstsein durch Ausübung seiner o. g. Funktionen veranlasst, in Form neuronaler Netzwerke fest verankert (Prägungsphänomen), mit dem Zweck, sie nicht zu 'vergessen' und den 'Geist' des Ich-Bewusstseins künftig bei seiner Aufgabe zu beraten. Die ins Über-Ich (Limbisches System) gesammelten Erfahrungen melden sich dann teils unaufgefordert beim Neocortex (z. B. in Gestalt der Träume), teils vermag das dort tätige Ich aber auch, sich willentlich an sein Über-Ich zu wenden, um darin nach einer einst gemachten, gegenwärtig u.U. erneut von Nutzen sein könnenden Erfahrung zu suchen. Dies ist so weit das Grundkonzept der gesunden Seele nach Freud; zur näheren Ausführung und Illustration s. S. 15-18.

     

    Die Ursache der Neurose beim Individuum

    Dem Umstand, dass sich Konflikte mit der sozialen Umgebung dem Bereich des Ich-bewussten Erlebens nachträglich zu entziehen vermögen (dies ist der Vorgang der sog. „Verdrängung ins Unbewusste“), liegt, gemäß den Annahmen Freuds, die während der frühesten Kindheit noch kaum ausgebildete Befähigung des Ichs zugrunde, sich aus eigenem Vermögen für das Es einsetzen zu können - die äußerere Realität im Sinne der eigenen Bedürfnisse zu verändern, liegt nicht im Bereich der Möglichkeiten eines Säuglings. Dieses durch die Abhängigkeit von der mütterlichen Versorgung charakterisierte Unvermögen des kindlichen Ichs gegenüber alltäglichen Belastungen, etwa von Seiten seiner unmittelbaren Bezugspersonen, spiegelt sich im Weiteren wider in seiner Ohnmacht gegenüber den Forderungen seines Über-Ichs, und zwar ab dem Moment, da diese Instanz begann, ein entsprechendes Verhalten der Bezugspersonen zu verinnerlichen. Dies ist - Freuds Theorie zufolge - unvermeidlich der Fall in den Kontexten der dem Kind auferlegten Moralerziehung, denn durch Inhalte dieser Art verwandelt sich das 'Über-Ich' zu einem den Trieben gegenüber kategorisch ablehend eingestellten Richter oder Zensor. Es repräsentiert die Ansprüche der Erziehung und fordert die Einhaltung der moralischen Ge- und Verbote.
    Das Unvermögen des Ichs auch im späteren Erwachsenen, dieser mächtigen, ihm seine Kindheitserziehung oft in Gestalt geträumter „Eltern“-Symbole - unter Umständen abstrahiert zum Superlativ eines allmächtigen Schöpfergotts vor Augen führenden Instanz argumentativ etwas Fundiertes entgegen setzen zu können, sich somit für die Belange seines moralisch dämonisierten Es einsetzend, sieht die Psychoanalyse im Zusammenhang frühkindlich erlittener Traumata; dies sind die o. g. Belastungen, die sich mittels des neurosynaptischen Vorganges der „Prägung“ ins Über-Ich eindrückten. Durch diese traumatischen Erfahrungen bildet sich im Ich eine in gewisser Weise phobische, die Wiederholung der schmerzlichen Erfahrung seiner Erziehung aus Straf- oder Liebesverlustangst zu meiden bestrebte Abwehrbereitschaft heran, die anstatt mit dem Es – d. h. manchen der dort beheimateten Bedürfnisse –, mit dem triebfeindlich geprägten Über-Ich gehorsam kooperiert, so werden die Ansprüche des „Es“ vom Ich schließlich selbst abgelehnt und bekämpft, bis sie der Verdrängung ins Unbewusste anheim fallen.[11] Die dem Bereich der bewussten inneren Wahrnehmung somit entzogenen Bedürfnisse müssen jedoch dem Ich wieder zugänglich oder bewusst gemacht werden, wenn dort das Vorhaben besteht, die ursächlichen Zusammenhänge seines Leidens an innerem Wirklichkeitsverlust nachträglich zu verarbeiten und von den symptomatischen Störungen seines neurotisch-phobischen Verhaltens zu genesen, indem hierfür geeignete Änderungen des Verhaltens (eigentliche Therapie) vorgenommen werden. Freud hebt hierbei hevor: „Vor der Therapie steht die Diagnose“ und vor letzterer wiederum ein fundiertes Modell der gesunden Seele.

     

    Menschheitsgeschichliche Ursache der Neurose

    Freud gebrauchte den Begriff Neurose ab 1895 in einem noch heute gültigen Sinne und verglich die Arbeit zugunsten der Wiederbewusstmachung des Verdrängten mit einem großen kulturellen Projekt: die Trockenlegung der Zuidersee. Eine aphoristische Zusammenfassung dieses Vorhabens ist: „Wo Es war (die ins Unbewusste verdrängten Bedürfnisse), soll (es dem) Ich (bewusst) werden“. Schließlich soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass Freuds "Es" nicht auf das Individuum reduziert, sondern im Zusammenhang der evolutionsgeschichtlichen, genetischen Menschwerdung gedacht ist: Der Urheber der Psychoanalyse postuliert in Totem und Tabu ein Modell des triebhaft sozialen Ur-Zusammenlebens. Und er nahm außerdem an an, dass es erst dessen gewaltsame, von den Urmenschen selbst zu verantwortende Abschaffung gewesen sei, die bei den von diesem Eingriff betroffenen Generationen zum Ausbruch des neurotischen Leidens geführt habe. Freud war vor allem Naturwissenschaftler. In Die Zukunft einer Illusion dokumentiert er nicht nur dies und die ihm fehlende Gewissheit bzgl. jener Annahmen (das hypothetische Fundament seiner Psychoanalyse), er fordert auch, dass sie anhand künftiger Erkenntnisse der zuständigen Wissenschaftsgebiete zu prüfen seien. [12] Primaten- und megalitharchäologische Befunde der Gegenwart, dazu die psychoanalytische Mythen- und Traumdeutung entwickeln beide Hypothesen: Wo und in Bezug auf welche ihre Einzelheiten sie zu ändern wären, beleuchtet der Analytiker Carlos Gutiérrez Sáenz ausführlich in der Reihe seiner Schriften (inkommerziell).

     

    Die Primärtherapie

    Arthur Janov erklärt die Neurose eng angelehnt an die klassische freudsche Schule, in Hinblick auf ihren Ausbruch im Individuum. Nach Janovs Primärtheorie versucht ein Kind psychische Konflikte zwischen den natürlichen Bedürfnissen (Es) und den ihnen entgegenstehenden Bedingungen seiner sozialen Umgebung (- infolge der prägenden Verinnerlichung bald vom eigenen Über-Ich repräsentiert) dadurch zu lösen, dass es die Bedürfnisse schließlich aus dem Bereich seines bewussten Erlebens verdrängt. Dies hänge damit zusammen, dass das Kind im Alter von etwa sechs Jahren (in elastischen Grenzen) die grundsätzliche Erkenntnis gewinne, dass es von seiner Umwelt in Hinblick auf seine natürlichen Bedürfnisse niemals anerkannt werde. Diese kategorische Ablehnung der Triebe in der Kernfamilie führe zum sogenannten „Umkippen“ des Ichs. Seine Tendenz, jene Bedürfnisse ab nun aktiv selbst abzuwehren, nehme ab diesem Zeitpunkt überhand, und wird im primärtherapeutischen Sinne als neurotisch bezeichnet.

     

    Carl Gustav Jungs Tiefenpsychologie

    Der Autor versucht hier verdeutlichend hinzufügen, dass ohne genauer definierte Begriffe eine Verarbeitung etwaiger Konflikte unmöglich sei, sodass sich allein aus dem Nichtvorhandensein solcher Begriffe (oder dem dafür vorauszusetzenden geistigen Vermögen) viele neurotische Störungen erklären ließen. Im Unbewussten wirken gewisse Inhalte (Triebe), die mangels vorhandener Begriffe nicht inhaltlich zu erfassen seien; so vermag das Ich auch nicht, sie in sein bewusstes Denken und das wiederum davon gesteuerte Verhalten zu integrieren. Die oft beträchtliche psychische Energie, die jenen Inhalte beiwohne, verlagere sich deswegen auf relativ unbedeutsame, wiewohl dem Ich bewusste Inhalte und erhöhe dadurch deren Intensität ins Pathologische. Es entständen auf diese Weise nur scheinbar grundlose Phobien und Obsessionen (überspannte Ideen, Idiosynkrasien, hypochondrische Vorstellungen, intellektuelle Perversitäten), die sich im privaten zwischenmenschlichen Bereich ebenso äußern könnten wie im Berufsalltag, politisch, in den Forschungstätigkeiten oder religiösen Ansichten (in der Beziehung des Ichs zu seinen Vorstellungen vom „Lieben Gott“ und Teufel).

     

    Aktuelle Klassifikation in WHO und USA

    Klassifikation nach ICD-10
    F40 – F48 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
    ICD-10 online (WHO-Version 2016)

    Durch das WHO-Klassifikationssystem ICD-10 wurde der bis dato vielfach rein im Zusammenhang der psychoanalytischen Theorie verstandene Begriff Neurose anhand seines neutraler klingenden Adjektivs „neurotisch“ ersetzt. Der Umstand dieses nicht ganz konsequent durchgeführten Vorhabens, den Begriff Neurose zu meiden, wird anhand mehrerer eng voneinander bedingter Punkte begründet:
    1. die bislang nicht gelungene, nach medizinischer bzw. psychotherapeutischer Maßgabe jedoch unabdingbare Abgrenzung der psychischen von den rein körperlich bedingten Geisteskrankheiten, ein Vorhaben, für das ggf. die Differenzialdiagnostik zuständig wäre
    2. die bislang ebenfalls unentdeckt gebliebene klare Grenze, ab der vom Ausbruch einer Psychose die Rede sein könne (ein Begriff, der aus demselben Grund nach Möglichkeit gemieden werden soll (gemäß WHO))
    3. die bislang nicht absehbare scharfe Unterscheidbarkeit überhaupt des krankhaften vom gesunden Verhalten und
    4. die traditionelle Theoriegebundenheit des Begriffs Neurose.
    Das Verständnis dessen, was er sinnvoller Weise bezeichnen könne, wurde bisher in weitem Maße von der freudschen Psychoanalyse erörtert. Er beinhaltet somit bestimmte Vorstellungen über die strukturell-dynamische Beschaffenheit der gesunden Seele und das allgemeine Zustandekommen pathogener Abweichungen von diesem Ideal, die von anderen Therapierichtungen nicht akzeptiert werden, da sie deren eigenen Vorstellungen teils eklatant widersprechen. Dies geht so weit, dass sich die Theoretiker der verschiedenen Richtungen gelegentlich gegenseitig - auch in Hinblick auf die Motivationen zur Erstellung ihrer Theorien, als krank beurteilen (müssen). Tatsache ist allerdings, dass Ärzte und Psychotherapeuten - von ihrem Anspruch her, heilerisch tätig werden zu können - unbedingt imstande sein müssen, krank und gesund fundiert zu unterscheiden. Hierbei stellt es eine philosophische Binsenweisheit dar, dass diese Tätigkeit unabhängig davon zu geschehen habe, welche Namen oder Begriffe man für beides erfindet und verwendet: "Wer heilt, hat Recht". (Auch wenn die in bestem Fachchinesisch verfassten Nomenklaturen von 'Ausländern' nicht ohne enzyklopädische Wörterbücher verstanden werden.)
    Manche Befürworter des Begriffes „Neurose“ vermuten davon ganz abgesehen noch einen weiteren hohen praktischen und wissenschaftlichen Wert in dessen Verwendung: Eine möglichst alle neurotischen Varianten erfassende und einheitlich erklärende Krankheitslehre sei gleichzeitig als ein Beleg für die Vielfältigkeit der gesunden menschlichen Persönlichkeitsstrukturen zu werten.
    Das aktuelle US-amerikanische Inventar der Diagnostik (DSM-IV) ersetzt die Bezeichnung weitgehend, indem es anstatt ihrer andere Umschreibungen desselben gemeinten Phänomens einsetzt (z. B. Ist-Zustand =Querschnitt). Psychodynamisch orientierte Autoren sehen den Begriff Neurose – z. B. in psychogenetischer Hinsicht (gemeint ist der Gesichtspunkt der psychischen Entwicklung, was dann Längsschnitt genannt wird) – jedoch dessen ungeachtet als notwendig an. Hoffmann & Hochapfel (2003) z.B. definieren die Neurosen überwiegend als solche Erkrankungen, die durch überfordernde Einflüsse von Seiten der Außenwelt entstehen und sich als Störungen in den Bereichen der Gefühle, des Denkens und des Verhaltens bemerkbar machen. Möglich seien des Weiteren Symptome, deren Oberfläche sich in rein körperlichen (somatischen) Bereichen finde, so zum Beispiel Hautausschläge, die vermehrt unter Stress auftauchen, oder das Phänomen der hysterischen Lähmung. Von letzerer „psychosomatischen“ Probelamtik berichtet Freud bereits im Zusammenhang seines Studienaufenthalts in Paris (s.u., Abschnitt Theoriegeschichte).

     

    Neurose in der Verhaltenstherapie

    Hier wird der Begriff deswegen möglichst gemieden, weil die Erstellung einer Diagnose, die Konflikte zu erfassen sucht, die ins Unbewusste verdrängt wurden, kein Konzept ist, mit dem sich die verhaltenstherapeutische Arbeitsweise befasst. Erkrankungen, die von anderen Therapierichtungen als Neurosen oder neurotische Störungen benannt werden, gelten gemäß des von den Verhaltenstherapien angewandten lerntheoretischen Konzepts als erlernte Fehlanpassungen, die sich durch ein ebenso bewusstes Erlernen günstigerer Verhaltensweisen beheben oder auch sog. neurolinguistisch umprogrammieren ließen. Die für Fehlanpassungen bis hin zum totalen Programmabsturz im Amoklauf ursächlichen Faktoren werden hierbei als Stressoren bezeichnet.

     

    Theoriegeschichte

    Der schottische Arzt William Cullen verstand 1776 unter dem Begriff Neurose alle psychischen und somit nicht-entzündlichen Störungen explizit des Nervensystems, für dessen Untersuchung demgemäß das Fachgebiet der Nervenlehre (Neurologie) zuständig wurde. Dies hat insofern eine aktuelle Bedeutung, als dass im medizinischen Ausbildungssystem die Neurologie wiederum mit dem Psychiatrie in besonderer Weise verbunden war und blieb. Der Nervenarzt (ein Physiologe) ist auch für die Psyche zuständig.
    Die Begriffe Neurose, Physis (Leib), Psyche (Geist) und Seele waren indes zu Zeiten Cullens nicht viel weniger als heute umstritten, wobei hier bemerkenswert ist, dass nach Auffassung namhafter zeitgenössischer Psychiater (Dörner 1975) das psychiatrische Versorgungssystem immer dort fragwürdig, lückenhaft oder in sich ungereimt sei, wo ein Begriff nicht genügend wissenschaftlich geklärt wird.
    Freud verhalf den Begriffen Neurose und Psyche seit Cullen zu einer weit größeren Verbreitung, jedoch hatte und hat auch die von ihm begründete Psychoanalyse mit der fundierten Darlegung der von diesen Worten bezeichneten Phänomene zu ringen. Wie lassen sich 'Körper, Geist und Seele' überhaupt in ein sinnvolles, in sich ebenso logisches wie fundiertes Modell gießen? Freud war vor der Begründung der Psychoanalyse bekanntlich Physiologe (Nervenarzt) und von den materialistisch ausgerichteten Ansprüchen seiner Zeit tief beeinflusst, als er Gelegenheit fand, in Paris Jean-Martin Charcot kennenzulernen, der dort Suggestionsbehandlungen („Hypnose“) durchführte. Diese Erfahrungen bewirkten nun eine spezifische Abwandlung in der Zielrichtung seiner bisherigen naturwissenschaftlichen Arbeiten, die zu einem Großteil von seiner starken Befürwortung der seinerzeit jungen Evolutionstheorie Darwins getragen waren und blieben: Störungen wie die hysterische Lähmung, die er bislang - seiner biologisch-materialistischen Ausrichtung wegen, als rein physiologisch bedingt aufgefasst hatte (wie bis heute mancher Psychater und Neurologe), lassen sich nämlich auf dem Wege einer hypnotischen Behandlung - freilich nur höchst vorübergehend, 'heilen'. Daher nahm er an, dass es der Wissenschaft bislang unbekannte, eher im Bereich des Geistes liegende Ursachen für Erkrankungen dieser Art geben müsse. Freud legte sein Interesse an der methodisch suggestiven Beeinflussung der 'Geister' seiner Klienten zwar bald, weil ineffektiv, zu den Akten, dehnte jedoch seine Hypothese bezüglich der von ihm im Weiteren als Neurose bezeichneten Individualstörungen bis hin zu einer globalen Kritik an unserer mitlerweile weltweiten Gesellschaftsform aus, und zwar mit der Begründung, dass es eben ein schwerer „Triebverzicht“ sei, der den Menschenkindern auferlegt zum Ausbruch des neurotischen Leidens führe.[13]
    Eine Zusammenfassung dieser Hypothese, die sich also radikal absetzt von denen, die rein körperlich gelagerte Ursachen vermuten (Infektionen usf.), wurde der Fach- und interessierten Laienwelt erstmals in seinem Werk „Totem und Tabu“ zur Diskussion vorgelegt, verbunden mit dem dort dokumentierten Versuch, ein Modell des gesunden, weil naturgemäßen Zusammenlebens zu postulieren: die sog. Darwinsche Urhorde. Erst deren gewaltsame Abschaffung durch die Einführung der Monogamie (siehe seine in Totem und Tabu dargelegte These der Ermordung des „Ur-Vaters“) habe zum Ausbruch des „Totemismus“ geführt. Dies ist nach Freud eine Form von Störung im Verhalten, Denken und Empfinden der „Wilden“, deren historische Fortsetzung sich beim Menschen der hyperzivilisierten Nationen in dessen Tierphobien, Putzzwängen, Geiz und Verschwendungssucht, der Nekrophilie sowie allen weiteren neurotischen Erkrankungen bis hin zur monotheistisch zentralisierten Religiösität und dem Gummifeteschismus widerspiegele. Auf das Werk „Totem und Tabu“ folgten weitere ausgesprochen gesellschaftskritische Schriften, wie z. B. „Unbehagen in der Kultur“.
    Freud wandte den Begriff Neurose im Allgemeinen nur auf die leichtgradigen psychischen Störungen an, wobei er freilich hinzufügt: Dies sind solche, die unter Umständen innerhalb der üblichen Sozialnormen nicht weiter auffallen (wie etwa der eben erwähnte religiöse Glaube) und/oder sich von schweren Erkrankungen wie z.B. einer akuten Psychose mehr oder minder deutlich dadurch unterscheiden, dass es dem durchschnittlichen Neurotiker vergleichsweise leicht gelingt, sich sein täglich Brot zu erwirtschaften, narzisstisch motivierte Liebesbeziehungen einzugehen und die daraus produzierten Kinder methodisch zu erziehen. Die Frage, ob bei psychischen Krankheiten jeglicher Art nicht doch irgendwelche körperliche Faktoren eine ausschlaggebende Rolle spielen, ist, wie zu Beginn des Artikels angedeutet, bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Als relativ gewiss gilt dies mittlerweile nur für die ausdrücklich so genannten „endogenen“ Psychosen, insofern die Forscher so weit einig darüber zu sein scheinen, dass dieser schwereren Form von Geisteskrankheit genetische Defekte zugrunde liegen. Freud sah zwar keinen Grund, seine Neurosenhypothese nicht auch zum Zwecke einer Erklärung dieser zu seiner Zeit kaum verstandenen Fälle zu erproben, doch schloss er deren konkrete Behandelbarkeit mittels seiner neuen „Traumdeutungsmethode“ erfahrungsgemäß weitgehend aus und riet zwecks Gewährleistung möglichst größter ärztlicher Gewissheit die wissenschaftlichen Forschung nicht zu versäumen.
    In dieses Feld zu rechnen ist sein Rat an alle interessierten Menschen (Ärzte wie Laien), sich gegen die Option der subjektiven Befangenheit in sozialen Normen und Werten, die er bei scharfer Anwendung seines Modells der Seele als krankhaft bezeichnen musste, dadurch zu versichern, dass nach einem in den Gesetzmäßigkeiten der Natur fundiert verankerbaren Modell des gesunden Menschen in seinen ebenso gesunden Sozialbeziehungen geforscht wird, denn nur anhand solch einer Konzeption des Begriffes „gesund“ lassen sich Krankheiten überhaupt deutlich als solche erkennen, heilen und vermeiden. Dies ist die Quintessenz des Dialoges, den Freud in Die Zukunft einer Illusion mit sich selbst führt, der „Primat des Intellekts“ gegenüber dem Aktionismus und der methodischen Verdummung durch Religionen und säkulären Ideologien, oder kurz das Argument der Gottheit "logos", sich gegen jegliches Unbehagen in der Kultur zu wappnen.
    Freud verstand unter Kultur explizit geistige Leistungen. Dieselben lassen sich nun aus seiner Sicht kaum erwarten, sofern dem Menschenkind der schwere Triebverzicht jener massiven Verhaltensänderungen, die die moralischen Ver- und Gebote fordern, weit vor dem Erwachen seines kritischen Intellekts auferlegt wird. Derlei Einschränkungen ebenso der triebhaften Wissbegierde wie instinktgemäß sozialen Impulse des Kindes - insbesondere an den Geheimnissen der geschlechtlichen Vermehrung, den dicht dabei liegenden Funktionen der Ausscheidungsorgane und der in den Zusammenhängen beider spürbar werdenden Lust, könne nicht zu schöpferischen Kulturleistungen führen, sondern münde in den Ausbruch der Neurose.
    "Neue Generationen, liebevoll und zur Hochschätzung des Denkens erzogen, die frühzeitig die Wohltaten der Kultur erfahren haben, werden auch ein anderes Verhältnis zu ihr haben, sie als ihr eigenstes Besitztum empfinden, bereit sein, die Opfer an Arbeit und Triebbefriedigung für sie zu bringen, deren es zu ihrer Erhaltung bedarf. Sie werden den Zwang [der jetzigen, neurotisch machenden Erziehung] entbehren können [..] . Wenn es menschliche Massen von solcher Qualität bisher in keiner Kultur gegeben hat, so kommt es daher, daß keine Kultur noch die Einrichtungen getroffen hatte, um die Menschen in solcher Weise, und zwar von Kindheit an, zu beeinflussen." (Sig. Freud: aus der Einleitung in Die Zukunft einer Illusion)

     

    Literatur

    • Annegret Eckhardt-Henn, Gereon Heuft, Gerd Hochapfel und Sven Olaf Hoffmann (Hrsg.): Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin: Mit einer Einführung in Psychodiagnostik und Psychotherapie. 7. Auflage. Schattauer, Stuttgart 2004, ISBN 3-7945-2325-3.
    • C. G. Jung, Lilly Jung-Merker (Hrsg.): Aion: Beiträge zur Symbolik des Selbst. Hrsg. von Lilly Jung-Merker und Elisabeth Rüf. Walter, Solothurn 1995, ISBN 3-530-40085-8.

     

    Einzelnachweise


  2. Bräutigam, Walter: Reaktionen, Neurosen, Psychopathien. Ein Grundriß der kleinen Psychiatrie. dtv und Georg Thieme, Stuttgart 1968, Seite 70

  3. In Deutschland wird wie in den meisten europäischen Staaten zur Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen die sogenannte ICD der WHO herangezogen. Obwohl Angst ein „Affekt“ ist, werden Angststörungen, Panik­attacken und auch phobische Störungen in der ICD-10, einem modernen Klassifikationssystem, nicht in der Rubrik F3 (Affektive Störungen), sondern im Kapitel F4 (Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen) kodiert.

  4. Sigmund Freud|Freud, Sigmund, Massenpsychologie und Ich-Analyse: "Wenn diese Intoleranz sich heute nicht mehr so gewalttätig und grausam kundgibt wie in früheren Jahrhunderten, so wird man daraus kaum auf eine Milderung in den Sitten der Menschen schließen dürfen. Weit eher ist die Ursache davon in der unleugbaren Abschwächung der religiösen Gefühle und der von ihnen abhängigen libidinösen Bindungen zu suchen. Wenn eine andere Massenbindung an die Stelle der religiösen tritt, wie es jetzt der sozialistischen zu gelingen scheint, so wird sich dieselbe Intoleranz gegen die Außenstehenden ergeben wie im Zeitalter der Religionskämpfe, und wenn die Differenzen wissenschaftlicher Anschauungen je eine ähnliche Bedeutung für die Massen gewinnen könnten, würde sich dasselbe Resultat auch für diese Motivierung wiederholen."

  5. Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse: X. Die Masse und die Urhorde

  6. Freud, Sigmund: Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen. (1889) In: Gesammelte Werke, Band I, S. Fischer Verlag , Frankfurt / M 31953, ISBN 3-10-022703-4; Seite 509

  7. Carlos Gutiérrez Sáenz 2005: Freud - Einstieg

  8. Carlos Gutiérrez Sáenz 1987: Glück und Leid – eine Psychoanalyse der Megalithkulturen

  9. Peter Gay: Freud – Eine Biographie für unsere Zeit. Fischer, 2006, ISBN 3-596-17170-9, S. 55.

  10. Ernest Jones: Sigmund Freud Leben und Werk. Band 1, dtv 1984, ISBN 3-423-04426-8, S. 110–111.

  11. Freud, "Das Ich und das Es", S. 294: " Die im Es existierenden Empfindungen werden vom Ich als Lust- und Unlustempfindungen wahrgenommen und bewusst. Das Ich ist bestrebt, dem Es gegenüber die Außenwelt zur Geltung zu bringen und das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zu setzen. Dabei ist entscheidend, dass es den Zugang zu den Muskelbewegungen kontrolliert. Das Es ist jedoch stärker als das Ich; das Ich pflegt „den Willen des Es in Handlung umzusetzen, als ob es der eigene wäre.“ "

  12. „Man ist sich darüber einig, daß sich das Ich der Abwehrmechanismen bedient, aber die theoretische Frage bleibt offen, ob ihre Verwendung immer die Existenz eines organisierten Ichs als Basis voraussetzt.“ Abwehrmechanismen. In: Jean Laplanche, Jean-Bertrand Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse. 6. Auflage. Band 1, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, S. 30 ff.

  13. Sigmund Freud, Die Zukunft einer Illusion, abschließendes Plädoye: " Die vom Druck der religiösen Lehre befreite Erziehung wird vielleicht nicht viel am psychologischen Wesen des Menschen ändern, unser Gott Λόγος [logos] ist vielleicht nicht sehr allmächtig, kann nur einen kleinen Teil von dem erfüllen, was seine Vorgänger versprochen haben. Wenn wir es einsehen müssen, werden wir es in Ergebung hinnehmen. Das Interesse an Welt und Leben werden wir darum nicht verlieren, denn wir haben an einer Stelle einen sicheren Anhalt, der Ihnen fehlt. Wir glauben daran, daß es der wissenschaftlichen Arbeit möglich ist, etwas über die Realität der Welt zu erfahren, wodurch wir unsere Macht steigern und wonach wir unser Leben einrichten können. Wenn dieser Glaube eine Illusion ist, dann sind wir in derselben Lage wie Sie, aber die Wissenschaft hat uns durch zahlreiche und bedeutsame Erfolge den Beweis erbracht, daß sie keine Illusion ist. Sie hat viele offene und noch mehr verkappte Feinde unter denen, die ihr nicht verzeihen können, daß sie den religiösen Glauben entkräftet hat und ihn zu stürzen droht. Man wirft ihr vor, wie wenig sie uns gelehrt und wie unvergleichlich mehr sie im Dunkel gelassen hat. Aber dabei vergißt man, wie jung sie ist, wie beschwerlich ihre Anfänge waren und wie verschwindend klein der Zeitraum, seitdem der menschliche Intellekt für ihre Aufgaben erstarkt ist. Fehlen wir nicht allein darin, daß wir unseren Urteilen zu kurze Zeiträume zugrunde legen? Wir sollten uns an den Geologen ein Beispiel nehmen. Man beklagt sich über die Unsicherheit der Wissenschaft, daß sie heute als Gesetz verkündet, was die nächste Generation als Irrtum erkennt und durch ein neues Gesetz von ebenso kurzer Geltungsdauer ablöst. Aber das ist ungerecht und zum Teil unwahr. Die Wandlungen der wissenschaftlichen Meinungen sind Entwicklung, Fortschritt und nicht Umsturz."

  14. Sigmund Freud: Zusammenhang Triebverzicht und neurotisches Leiden. In: Die Zukunft einer Illusion. Abgerufen am 4. April 2016.